Notizen
- Onkel hat Realitätsbezug, sieht die Notwendigkeit einer rechtlichen Beratung
- K. schätzt die Lage nicht realistisch ein, denkt er habe es nicht nötig
- K. geht zu einem Armenanwalt, obwohl er Prokurist einer Bank ist
- Richtergewand= K. möchte hohe Beamte sprechen, trifft immer nur auf niedere Angestellte des Systems, das Gericht wird somit nicht fassbar für ihn
- Gericht ist überall, auch in der Anwaltskanzlei, da der Advokat mit Gerichtsangestellten befreundet ist
- Frauen sind überwiegend sexualisiert dargestellt
- Hat eine Freundin,diese ist minderjährig
Inhalt chronologisch
82 Der Onkel kommt ins Büro ist leicht leicht geknickt. K. schickt die Diener fot und will niemanden sonst im Zimmer haben
83 der Onkel hat von Proceß gehört von Erna, 84 lt Brief soll es sich um einen schweren Prozess handeln. Erna ist eine 17 jährige Gymnasiastin, sie wollte ihn besuchen und wurde nicht vorgelassen, erfuhr so vom Prozess
85 Die Familie übt Druck auf K. aus " Du warst bisher unsere Ehre, Du darfst nicht unsere Schande werden." K. muss Aufträge geben, er hat also Macht in der Firma
86 Der Onkel ist fassungslos. Erlebt K.als Störung des Familienfriedens
K. sagt es handelte sich um keinen Prozess eines gewöhnlichen Gerichts. --- Missachtung er nimmt den Prozess nicht ernst
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87 Der Onkel bietet K an, dass er auf dem Land zur Ruhe kommen könne und so zugleich dem Gericht entzogen sei. K. sieht darin eine Flucht, denkt zudem, dass es u U ein Wegfahrverbot geben könnte. Der Onkel sieht in seinem Landaufenthalt keinen großen Machtverlusst des Gerichts
Latu dem Onkel würde den Prozess verlieren bedeuten, dass man einfach gestichen wird und die Verwandten mit. Der Onkel kann K.s Gleichgültigkeit nicht nachvollziehen. Er zitiert das Sprichwort: Einen solchen Prozess haben, hei0t ihn schon verloren zu haben.
89 K. sieht im Landaufenthalt eine Flucht und ein Schuldgeständnis
Sie fahren zum Advokat ins Büro. K. wusste nicht dass man hierbei auch einen Anwalt in Anspruch nehmen müsse, er nimmt den Prozess nicht ernst. Es handelt sich um einen Armenadvokat, ( trotz Ks Stellung )
90 Der Advokat ist krank sagt das Fräulein.
Sie treffen dann doch auf den Advokaten, der ein alter Freund ist
91 Das Fräulein hei0t Leini, sie versucht die Besucher abzuwehern
92 Wer wird als Prokurist Josef K. vorgestellt.
93 Der Anwalt scheint vom Prozess zu wissen
94 er verkehrt in Gerichtskreisen, hat dort gute Freunde, die ihn trotz seines Gesundheitszustandes besuchen
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95 Der Kanzleidirektor ist auch dort
96K. vermutet ihn bei der ersten Untersuchung schon gesehen zu haben
97 Er sieht ein Bild das . mit einem Richtertalar zeigt
98 K. stellt fest, dass es sich nur um einen Untersuchungsrichter handelt, K. ist enttäuscht, da er nur kleine Beamte sieht
99 K meint er wirbt Helferinnen : Leni, Gerichtsdienergattin und das Fräulein Bürstner (sexuelle Note)
Leni sitzt bei ihm auf dem Schoß, Leni wirft sich an K. ran, fragt ihn gar nach einer Geliebten. K. gibt an eine Geliebte zu haben, die Elsa, er zeigt L. ein Bild, diese defarmiert Elsa.
100 Leni hat ein Schwimmhäutchen zwischen den Fingern und fragt nach körperlichen Besonderheiten von Elsa. Sie k. ihren Haustürschlüssel mit der Einladung zu kommen wann K. will.
101 Der Onkel macht K. schwere Vorwürfe. K würde sich lieber mit Frauen rumtreiben, ihn im Stich lassen
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Personen
Schlüsselthemen
- Recht und Unrecht
- Verschwörung wer gehört zum Gericht
- Schuld
- Sexualität
A
bschnitte
- Im Büro
- Weg in die Kanzlei
- in der Kanzlei
- Draussen
Fragenkatalog
- Welche Funktion hat das Auftreten des Onkels in diesem Kapitel?
- Warum wird Kafka nicht gleich zum Anwalt vorgelassen?
- Wie ist Leni zu charakterisieren?
- Wie steht K. zu den Frauen, die er sich als Helferinnen heranzieht?
- Wie kann man den Anwalt charakterisieren?
- Warum kann sich K. zunächst nicht an seine Liebschaft mit Elsa erinnern?
- Welche Funktion haben die körperlichen Besonderheiten der Frau Leni?
- Welchen Anzeichen für eine sexualiserte Darstellung Lenis finden Sie im Text?
- Was sagt diese Darstellungsform von Frauen aus, wenn man das freudsche Modell von Ich- Es- Über Ich betrachtet?
- Welchen Eindruck macht der Anwalt auf K.?
- Warum macht ihm der Onkel so schwere Vorwürfe?
- Was ist zum Thema Schuld bezüglich K. zu sagen?
Interpretationsansätze
- Psychologische Komponente zwischen Realität und Wahn/ traumhaften Sequenzen Onkel erkennt den Ernst der Lage
- Psychoanalytisch ist die Sexualität von K. unterdrückt
- Bank gilt ja eigentlich als Verschwiegen: Elsa bekommt aber doch Informationen
- Familien Ehre ( dies hat einen biografischen Bezug )
- Einen solchen Prozess haben, hei0t ihn schon verloren zu haben. Zum Einen deutet es darauf hin, dass es für Kafka keine Chance gibt dem Gericht zu entkommen oder zu gewinnen, zum Anderen ist ein Sprichwort auch immer als allgemeine Aussage in aller Munde, hat somit eine deutlichere Verbindlichkeit und einen größeren Aussagewert, als einfache Aussagen eines Einzelnen
- »Sie arbeiten doch bei dem Gericht im Justizpalast, und
nicht bei dem auf dem Dachboden«, hatte er sagen wollen, konnte sich
aber nicht überwinden, es wirklich zu sagen. Er stellt die wichtigen Fragen nicht, ist nicht mehr Herr seiner Sinne. Er hätte an diesem Punkt feststellen können auf welcher Seite Advocat Huld steht#
- Gemälde ist eine sehr würdevolle Darstellung, jedoch sind die Räume nicht würdevoll = Widerspruch
- Schuld ist ein zentrales Thema, Leni
- K. übernimmt keine Verantwortung für sich selbst
- Jetzt gehörst Du mir! K. ist nicht mehr Herr seiner Selbst

-->
wikipedia
Josef K.s Onkel und ehemaliger Vormund Karl/Albert vom Lande besucht
K. in der Bank. Er hatte von seiner halbwüchsigen Tochter Erna, einer
Pensionatsschülerin, brieflich erfahren, dass K. angeklagt wurde. Der
Onkel ist sehr aufgeregt wegen des Prozesses und geht mit K. zu seinem
Anwalt und Freund Huld, der gute Beziehungen zu einigen Richtern hat.
Beim ersten Besuch liegt Huld krank zu Bett, ist aber bereit, K.s
Sache zu vertreten, von der er bereits durch seine einschlägigen
beruflichen Kontakte gehört habe. Ebenfalls bei Huld anwesend ist der
Kanzleidirektor (offensichtlich der Direktor der ominösen
Gerichtskanzleien) sowie Hulds Hausmädchen, die junge Leni. K. ist
gedanklich abwesend. Die Überlegungen der drei älteren Herren zu seiner
Sache scheinen ihn kaum zu berühren.
Leni lockt K. aus dem Besprechungszimmer und nähert sich ihm
unvermittelt und erotisch auffordernd. Am Ende des Besuchs macht der
Onkel K. schwere Vorwürfe, dass er eine so wichtige Besprechung wegen „eines kleinen, schmutzigen Dinges“ versäumt habe.
Originaltext
Der Onkel – Leni
Eines Nachmittags – K. war gerade vor dem Postabschluß sehr
beschäftigt – drängte sich zwischen zwei Dienern, die Schriftstücke
hineintrugen, K.s Onkel Karl, ein kleiner Grundbesitzer vom Lande, ins
Zimmer. K. erschrak bei dem Anblick weniger, als er schon vor längerer
Zeit bei der Vorstellung vom Kommen des Onkels erschrocken war. Der
Onkel mußte kommen, das stand bei K. schon etwa einen Monat lang fest.
Schon damals hatte er ihn zu sehen geglaubt, wie er, ein wenig gebückt,
den eingedrückten Panamahut in der Linken, die Rechte schon von weitem
ihm entgegenstreckte und sie mit rücksichtsloser Eile über den
Schreibtisch hinreichte, alles umstoßend, was ihm im Wege war. Der Onkel
befand sich immer in Eile, denn er war von dem unglücklichen Gedanken
verfolgt, bei seinem immer nur eintägigen Aufenthalt in der Hauptstadt
müsse er alles erledigen können, was er sich vorgenommen hatte, und
dürfe überdies auch kein gelegentlich sich darbietendes Gespräch oder
Geschäft oder Vergnügen sich entgehen lassen. Dabei mußte ihm K., der
ihm als seinem gewesenen Vormund besonders verpflichtet war, in allem
möglichen behilflich sein und ihn außerdem bei sich übernachten lassen.
»Das Gespenst vom Lande« pflegte er ihn zu nennen.
Gleich nach der Begrüßung – sich in den Fauteuil zu setzen, wozu
ihn K. einlud, hatte er keine Zeit – bat er K. um ein kurzes Gespräch
unter vier Augen. »Es ist notwendig«, sagte er, mühselig schluckend, »zu
meiner Beruhigung ist es notwendig.« K. schickte sofort die Diener aus
dem Zimmer, mit der Weisung, niemand einzulassen. »Was habe ich gehört,
Josef?« rief der Onkel, als sie allein waren, setzte sich auf den Tisch
und stopfte unter sich, ohne hinzusehen, verschiedene Papiere, um besser
zu sitzen. K. schwieg, er wußte, was kommen würde, aber, plötzlich von
der anstrengenden Arbeit entspannt, wie er war, gab er sich zunächst
einer angenehmen Mattigkeit hin und sah durch das Fenster auf die
gegenüberliegende Straßenseite, von der von seinem Sitz aus nur ein
kleiner, dreieckiger Ausschnitt zu sehen war, ein Stück leerer
Häusermauer zwischen zwei Geschäftsauslagen. »Du schaust aus dem
Fenster!« rief der Onkel mit erhobenen Armen, »um Himmels willen, Josef,
antworte mir doch! Ist es wahr, kann es denn wahr sein?« »Lieber
Onkel«, sagte K. und riß sich von seiner Zerstreutheit los, »ich weiß ja
gar nicht, was du von mir willst.« »Josef«, sagte der Onkel warnend,
»die Wahrheit hast du immer gesagt, soviel ich weiß. Soll ich deine
letzten Worte als schlimmes Zeichen auffassen?« »Ich ahne ja, was du
willst«, sagte K. folgsam, »du hast wahrscheinlich von meinem Prozeß
gehört.« »So ist es«, antwortete der Onkel, langsam nickend, »ich habe
von deinem Prozeß gehört.« »Von wem denn?« fragte K. »Erna hat es mir
geschrieben«, sagte der Onkel, »sie hat ja keinen Verkehr mit dir, du
kümmerst dich leider nicht viel um sie, trotzdem hat sie es erfahren.
Heute habe ich den Brief bekommen und bin natürlich sofort hergefahren.
Aus keinem anderen Grund, aber es scheint ein genügender Grund zu sein.
Ich kann dir die Briefstelle, die dich betrifft, vorlesen.« Er zog den
Brief aus der Brieftasche. »Hier ist es. Sie schreibt: ›Josef habe ich
schon lange nicht gesehen, vorige Woche war ich einmal in der Bank, aber
Josef war so beschäftigt, daß ich nicht vorgelassen wurde; ich habe
fast eine Stunde gewartet, mußte dann aber nach Hause, weil ich
Klavierstunde hatte. Ich hätte gern mit ihm gesprochen, vielleicht wird
sich nächstens eine Gelegenheit finden. Zu meinem Namenstag hat er mir
eine große Schachtel Schokolade geschickt, es war sehr lieb und
aufmerksam. Ich hatte vergessen, es Euch damals zu schreiben, erst
jetzt, da Ihr mich fragt, erinnere ich mich daran. Schokolade, müßt ihr
wissen, verschwindet nämlich in der Pension sofort, kaum ist man zum
Bewußtsein dessen gekommen, daß man mit Schokolade beschenkt worden ist,
ist sie auch schon weg. Aber was Josef betrifft, wollte ich Euch noch
etwas sagen. Wie erwähnt, wurde ich in der Bank nicht zu ihm
vorgelassen, weil er gerade mit einem Herrn verhandelte. Nachdem ich
eine Zeitlang ruhig gewartet hatte, fragte ich einen Diener, ob die
Verhandlung noch lange dauern werde. Er sagte, das dürfte wohl sein,
denn es handle sich wahrscheinlich um den Prozeß, der gegen den Herrn
Prokuristen geführt werde. Ich fragte, was denn das für ein Prozeß sei,
ob er sich nicht irre, er aber sagte, er irre sich nicht, es sei ein
Prozeß, und zwar ein schwerer Prozeß, mehr aber wisse er nicht. Er
selbst möchte dem Herrn Prokuristen gerne helfen, denn dieser sei ein
guter und gerechter Herr, aber er wisse nicht, wie er es anfangen
sollte, und er möchte nur wünschen, daß sich einflußreiche Herren seiner
annehmen würden. Dies werde auch sicher geschehen, und es werde
schließlich ein gutes Ende nehmen, vorläufig aber stehe es, wie er aus
der Laune des Herrn Prokuristen entnehmen könne, gar nicht gut. Ich
legte diesen Reden natürlich nicht viel Bedeutung bei, suchte auch den
einfältigen Diener zu beruhigen, verbot ihm, anderen gegenüber davon zu
sprechen, und halte das Ganze für ein Geschwätz. Trotzdem wäre es
vielleicht gut, wenn Du, liebster Vater, bei Deinem nächsten Besuch der
Sache nachgehen wolltest, es wird Dir leicht sein, Genaueres zu erfahren
und, wenn es wirklich nötig sein sollte, durch Deine großen,
einflußreichen Bekanntschaften einzugreifen. Sollte es aber nicht nötig
sein, was ja das wahrscheinlichste ist, so wird es wenigstens Deiner
Tochter bald Gelegenheit geben, Dich zu umarmen, was sie freuen würde.‹ –
Ein gutes Kind«, sagte der Onkel, als er die Vorlesung beendet hatte,
und wischte einige Tränen aus den Augen fort. K. nickte, er hatte
infolge der verschiedenen Störungen der letzten Zeit vollständig Erna
vergessen, sogar ihren Geburtstag hatte er vergessen, und die Geschichte
von der Schokolade war offenbar nur zu dem Zweck erfunden, um ihn vor
Onkel und Tante in Schutz zu nehmen. Es war sehr rührend, und mit den
Theaterkarten, die er ihr von jetzt ab regelmäßig schicken wollte, gewiß
nicht genügend belohnt, aber zu Besuchen in der Pension und zu
Unterhaltungen mit einer kleinen achtzehnjährigen Gymnasiastin fühlte er
sich jetzt nicht geeignet. »Und was sagst du jetzt?« fragte der Onkel,
der durch den Brief alle Eile und Aufregung vergessen hatte und ihn noch
einmal zu lesen schien. »Ja, Onkel«, sagte K., »es ist wahr.« »Wahr?«
rief der Onkel. »Was ist wahr? Wie kann es denn wahr sein? Was für ein
Prozeß? Doch nicht ein Strafprozeß?« »Ein Strafprozeß«, antwortete K.
»Und du sitzt ruhig hier und hast einen Strafprozeß auf dem Halse?« rief
der Onkel, der immer lauter wurde. »Je ruhiger ich bin, desto besser
ist es für den Ausgang«, sagte K. müde, »fürchte nichts.« »Das kann mich
nicht beruhigen!« rief der Onkel, »Josef, lieber Josef, denke an dich,
an deine Verwandten, an unsern guten Namen! Du warst bisher unsere Ehre,
du darfst nicht unsere Schande werden. Deine Haltung«, er sah K. mit
schief geneigtem Kopfe an, »gefällt mir nicht, so verhält sich kein
unschuldig Angeklagter, der noch bei Kräften ist. Sag mir nur schnell,
worum es sich handelt, damit ich dir helfen kann. Es handelt sich
natürlich um die Bank?« »Nein«, sagte K. und stand auf, »du sprichst
aber zu laut, lieber Onkel, der Diener steht wahrscheinlich an der Tür
und horcht. Das ist mir unangenehm. Wir wollen lieber weggehen. Ich
werde dir dann alle Fragen, so gut es geht, beantworten. Ich weiß sehr
gut, daß ich der Familie Rechenschaft schuldig bin.« »Richtig!« schrie
der Onkel, »sehr richtig, beeile dich nur, Josef, beeile dich!« »Ich muß
nur noch einige Aufträge geben«, sagte K. und berief telephonisch
seinen Vertreter zu sich, der in wenigen Augenblicken eintrat. Der
Onkel, in seiner Aufregung, zeigte ihm mit der Hand, daß K. ihn habe
rufen lassen, woran auch sonst kein Zweifel gewesen wäre. K., der vor
dem Schreibtisch stand, erklärte dem jungen Mann, der kühl, aber
aufmerksam zuhörte, mit leiser Stimme unter Zuhilfenahme verschiedener
Schriftstücke, was in seiner Abwesenheit heute noch erledigt werden
müsse. Der Onkel störte, indem er zuerst mit großen Augen und nervösem
Lippenbeißen dabeistand, ohne allerdings zuzuhören, aber der Anschein
dessen war schon störend genug. Dann aber ging er im Zimmer auf und ab
und blieb hie und da vor dem Fenster oder vor einem Bild stehen, wobei
er immer in verschiedene Ausrufe ausbrach, wie: »Mir ist es vollständig
unbegreiflich!« oder »Jetzt sagt mir nur, was soll denn daraus werden!«
Der junge Mann tat, als bemerke er nichts davon, hörte ruhig K.s
Aufträge bis zu Ende an, notierte sich auch einiges und ging, nachdem er
sich vor K. wie auch vor dem Onkel verneigt hatte, der ihm aber gerade
den Rücken zukehrte, aus dem Fenster sah und mit ausgestreckten Händen
die Vorhänge zusammenknüllte. Die Tür hatte sich noch kaum geschlossen,
als der Onkel ausrief: »Endlich ist der Hampelmann weggegangen, jetzt
können doch auch wir gehen. Endlich!« Es gab leider kein Mittel, den
Onkel zu bewegen, in der Vorhalle, wo einige Beamte und Diener
herumstanden und die gerade auch der Direktor-Stellvertreter kreuzte,
die Fragen wegen des Prozesses zu unterlassen. »Also, Josef«, begann der
Onkel, während er die Verbeugungen der Umstehenden durch leichtes
Salutieren beantwortete, »jetzt sag mir offen, was es für ein Prozeß
ist.« K. machte einige nichtssagende Bemerkungen, lachte auch ein wenig,
und erst auf der Treppe erklärte er dem Onkel, daß er vor den Leuten
nicht habe offen reden wollen. »Richtig«, sagte der Onkel, »aber jetzt
rede.« Mit geneigtem Kopf, eine Zigarre in kurzen, eiligen Zügen
rauchend, hörte er zu. »Vor allem, Onkel«, sagte K., »handelt es sich
gar nicht um einen Prozeß vor dem gewöhnlichen Gericht.« »Das ist
schlimm«, sagte der Onkel. »Wie?« sagte K. und sah den Onkel an. »Daß
das schlimm ist, meine ich«, wiederholte der Onkel. Sie standen auf der
Freitreppe, die zur Straße führte; da der Portier zu horchen schien, zog
K. den Onkel hinunter; der lebhafte Straßenverkehr nahm sie auf. Der
Onkel, der sich in K. eingehängt hatte, fragte nicht mehr so dringend
nach dem Prozeß, sie gingen sogar eine Zeitlang schweigend weiter. »Wie
ist es aber geschehen?« fragte endlich der Onkel, so plötzlich
stehenbleibend, daß die hinter ihm gehenden Leute erschreckt auswichen.
»Solche Dinge kommen doch nicht plötzlich, sie bereiten sich seit langem
vor, es müssen Anzeichen dessen gewesen sein, warum hast du mir nicht
geschrieben? Du weißt, daß ich für dich alles tue, ich bin ja
gewissermaßen noch dein Vormund und war bis heute stolz darauf. Ich
werde dir natürlich auch jetzt noch helfen, nur ist es jetzt, wenn der
Prozeß schon im Gange ist, sehr schwer. Am besten wäre es jedenfalls,
wenn du dir jetzt einen kleinen Urlaub nimmst und zu uns aufs Land
kommst. Du bist auch ein wenig abgemagert, jetzt merke ich es. Auf dem
Land wirst du dich kräftigen, das wird gut sein, es stehen dir ja gewiß
Anstrengungen bevor. Außerdem aber wirst du dadurch dem Gericht
gewissermaßen entzogen sein. Hier haben sie alle möglichen Machtmittel,
die sie notwendigerweise automatisch auch dir gegenüber anwenden; auf
das Land müßten sie aber erst Organe delegieren oder nur brieflich,
telegraphisch, telephonisch auf dich einzuwirken suchen. Das schwächt
natürlich die Wirkung ab, befreit dich zwar nicht, aber läßt dich
aufatmen.« »Sie könnten mir ja verbieten, wegzufahren«, sagte K., den
die Rede des Onkels ein wenig in ihren Gedankengang gezogen hatte. »Ich
glaube nicht, daß sie das tun werden«, sagte der Onkel nachdenklich, »so
groß ist der Verlust an Macht nicht, den sie durch deine Abreise
erleiden.« »Ich dachte«, sagte K. und faßte den Onkel unterm Arm, um ihn
am Stehenbleiben hindern zu können, »daß du dem Ganzen noch weniger
Bedeutung beimessen würdest als ich, und jetzt nimmst du es selbst so
schwer.« »Josef«, rief der Onkel und wollte sich ihm entwinden, um
stehenbleiben zu können, aber K. ließ ihn nicht, »du bist verwandelt, du
hattest doch immer ein so richtiges Auffassungsvermögen, und gerade
jetzt verläßt es dich? Willst du denn den Prozeß verlieren? Weißt du,
was das bedeutet? Das bedeutet, daß du einfach gestrichen wirst. Und daß
die ganze Verwandtschaft mitgerissen oder wenigstens bis auf den Boden
gedemütigt wird. Josef, nimm dich doch zusammen. Deine Gleichgültigkeit
bringt mich um den Verstand. Wenn man dich ansieht, möchte man fast dem
Sprichwort glauben: ›Einen solchen Prozeß haben, heißt ihn schon
verloren haben‹.«
»Lieber Onkel«, sagte K., »die Aufregung ist so unnütz, sie ist es auf
deiner Seite und wäre es auch auf meiner. Mit Aufregung gewinnt man die
Prozesse nicht, laß auch meine praktischen Erfahrungen ein wenig gelten,
so wie ich deine, selbst wenn sie mich überraschen, immer und auch
jetzt sehr achte. Da du sagst, daß auch die Familie durch den Prozeß in
Mitleidenschaft gezogen würde – was ich für meinen Teil durchaus nicht
begreifen kann, das ist aber Nebensache –, so will ich dir gerne in
allem folgen. Nur den Landaufenthalt halte ich selbst in deinem Sinn
nicht für vorteilhaft, denn das würde Flucht und Schuldbewußtsein
bedeuten. Überdies bin ich hier zwar mehr verfolgt, kann aber auch
selbst die Sache mehr betreiben.« »Richtig«, sagte der Onkel in einem
Ton, als kämen sie jetzt endlich einander näher, »ich machte den
Vorschlag nur, weil ich, wenn du hier bliebst, die Sache von deiner
Gleichgültigkeit gefährdet sah und es für besser hielt, wenn ich statt
deiner für dich arbeitete. Willst du es aber mit aller Kraft selbst
betreiben, so ist es natürlich weit besser.« »Darin wären wir also
einig«, sagte K. »Und hast du jetzt einen Vorschlag dafür, was ich
zunächst machen soll?« »Ich muß mir natürlich die Sache noch überlegen«,
sagte der Onkel, »du mußt bedenken, daß ich jetzt schon zwanzig Jahre
fast ununterbrochen auf dem Lande bin, dabei läßt der Spürsinn in diesen
Richtungen nach. Verschiedene wichtige Verbindungen mit
Persönlichkeiten, die sich hier vielleicht besser auskennen, haben sich
von selbst gelockert. Ich bin auf dem Land ein wenig verlassen, das
weißt du ja. Selbst merkt man es eigentlich erst bei solchen
Gelegenheiten. Zum Teil kam mir deine Sache auch unerwartet, wenn ich
auch merkwürdigerweise nach Ernas Brief schon etwas Derartiges ahnte und
es heute bei deinem Anblick fast mit Bestimmtheit wußte. Aber das ist
gleichgültig, das Wichtigste ist jetzt, keine Zeit zu verlieren.« Schon
während seiner Rede hatte er, auf den Fußspitzen stehend, einem
Automobil gewinkt und zog jetzt, während er gleichzeitig dem Wagenlenker
eine Adresse zurief, K. hinter sich in den Wagen. »Wir fahren jetzt zum
Advokaten Huld«, sagte er, »er war mein Schulkollege. Du kennst den
Namen gewiß auch? Nicht? Das ist aber merkwürdig. Er hat doch als
Verteidiger und Armenadvokat einen bedeutenden Ruf. Ich aber habe
besonders zu ihm als Menschen großes Vertrauen.« »Mir ist alles recht,
was du unternimmst«, sagte K., obwohl ihm die eilige und dringliche Art,
mit der der Onkel die Angelegenheit behandelte, Unbehagen verursachte.
Es war nicht sehr erfreulich, als Angeklagter zu einem Armenadvokaten zu
fahren. »Ich wußte nicht«, sagte er,»daß man in einer solchen Sache
auch einen Advokaten zuziehen könne.« »Aber natürlich«, sagte der Onkel,
»das ist ja selbstverständlich. Warum denn nicht? Und nun erzähle mir,
damit ich über die Sache genau unterrichtet bin, alles, was bisher
geschehen ist.« K. begann sofort zu erzählen, ohne irgend etwas zu
verschweigen, seine vollständige Offenheit war der einzige Protest, den
er sich gegen des Onkels Ansicht, der Prozeß sei eine große Schande,
erlauben konnte. Fräulein Bürstners Namen erwähnte er nur einmal und
flüchtig, aber das beeinträchtigte nicht die Offenheit, denn Fräulein
Bürstner stand mit dem Prozeß in keiner Verbindung. Während er erzählte,
sah er aus dem Fenster und beobachtete, wie sie sich gerade jener
Vorstadt näherten, in der die Gerichtskanzleien waren, er machte den
Onkel darauf aufmerksam, der aber das Zusammentreffen nicht besonders
auffallend fand. Der Wagen hielt vor einem dunklen Haus. Der Onkel
läutete gleich im Parterre bei der ersten Tür; während sie warteten,
fletschte er lächelnd seine großen Zähne und flüsterte: »Acht Uhr, eine
ungewöhnliche Zeit für Parteienbesuche. Huld nimmt es mir aber nicht
übel.« Im Guckfenster der Tür erschienen zwei große, schwarze Augen,
sahen ein Weilchen die zwei Gäste an und verschwanden; die Tür öffnete
sich aber nicht. Der Onkel und K. bestätigten einander gegenseitig die
Tatsache, die zwei Augen gesehen zu haben. »Ein neues Stubenmädchen, das
sich vor Fremden fürchtet«, sagte der Onkel und klopfte nochmals.
Wieder erschienen die Augen, man konnte sie jetzt fast für traurig
halten, vielleicht war das aber auch nur eine Täuschung, hervorgerufen
durch die offene Gasflamme, die nahe über den Köpfen stark zischend
brannte, aber wenig Licht gab. »Öffnen Sie«, rief der Onkel und hieb mit
der Faust gegen die Tür, »es sind Freunde des Herrn Advokaten!« »Der
Herr Advokat ist krank«, flüsterte es hinter ihnen. In einer Tür am
andern Ende des kleinen Ganges stand ein Herr im Schlafrock und machte
mit äußerst leiser Stimme diese Mitteilung. Der Onkel, der schon wegen
des langen Wartens wütend war, wandte sich mit einem Ruck um, rief:
»Krank? Sie sagen, er ist krank?« und ging fast drohend, als sei der
Herr die Krankheit, auf ihn zu. »Man hat schon geöffnet«, sagte der
Herr, zeigte auf die Tür des Advokaten, raffte seinen Schlafrock
zusammen und verschwand. Die Tür war wirklich geöffnet worden, ein
junges Mädchen – K. erkannte die dunklen, ein wenig hervorgewälzten
Augen wieder – stand in langer, weißer Schürze im Vorzimmer und hielt
eine Kerze in der Hand. »Nächstens öffnen Sie früher!« sagte der Onkel
statt einer Begrüßung, während das Mädchen einen kleinen Knicks machte.
»Komm, Josef«, sagte er dann zu K., der sich langsam an dem Mädchen
vorüberschob. »Der Herr Advokat ist krank«, sagte das Mädchen, da der
Onkel, ohne sich aufzuhalten, auf eine Tür zueilte. K. staunte das
Mädchen noch an, während es sich schon umgedreht hatte, um die
Wohnungstür wieder zu versperren, es hatte ein puppenförmig gerundetes
Gesicht, nicht nur die bleichen Wangen und das Kinn verliefen rund, auch
die Schläfen und die Stirnränder. »Josef!« rief der Onkel wieder, und
das Mädchen fragte er: »Es ist das Herzleiden?« »Ich glaube wohl«, sagte
das Mädchen, es hatte Zeit gefunden, mit der Kerze voranzugehen und die
Zimmertür zu öffnen. In einem Winkel des Zimmers, wohin das Kerzenlicht
noch nicht drang, erhob sich im Bett ein Gesicht mit langem Bart.
»Leni, wer kommt denn?« fragte der Advokat, der, durch die Kerze
geblendet, die Gäste nicht erkannte. »Albert, dein alter Freund ist es«,
sagte der Onkel. »Ach, Albert«, sagte der Advokat und ließ sich auf die
Kissen zurückfallen, als bedürfe es diesem Besuch gegenüber keiner
Verstellung. »Steht es wirklich so schlecht?« fragte der Onkel und
setzte sich auf den Bettrand. »Ich glaube es nicht. Es ist ein Anfall
deines Herzleidens und wird vorübergehen wie die früheren.« »Möglich«,
sagte der Advokat leise, »es ist aber ärger, als es jemals gewesen ist.
Ich atme schwer, schlafe gar nicht und verliere täglich an Kraft.« »So«,
sagte der Onkel und drückte den Panamahut mit seiner großen Hand fest
aufs Knie. »Das sind schlechte Nachrichten. Hast du übrigens die
richtige Pflege? Es ist auch so traurig hier, so dunkel. Es ist schon
lange her, seit ich zum letztenmal hier war, damals schien es mir
freundlicher. Auch dein kleines Fräulein hier scheint nicht sehr lustig,
oder sie verstellt sich.« Das Mädchen stand noch immer mit der Kerze
nahe bei der Tür; soweit ihr unbestimmter Blick erkennen ließ, sah sie
eher K. an als den Onkel, selbst als dieser jetzt von ihr sprach. K.
lehnte an einem Sessel, den er in die Nähe des Mädchens geschoben hatte.
»Wenn man so krank ist wie ich«, sagte der Advokat, »muß man Ruhe
haben. Mir ist es nicht traurig.« Nach einer kleinen Pause fügte er
hinzu: »Und Leni pflegt mich gut, sie ist brav.« Den Onkel konnte das
aber nicht überzeugen, er war sichtlich gegen die Pflegerin
voreingenommen, und wenn er auch dem Kranken nichts entgegnete, so
verfolgte er doch die Pflegerin mit strengen Blicken, als sie jetzt zum
Bett hinging, die Kerze auf das Nachttischchen stellte, sich über den
Kranken hinbeugte und beim Ordnen der Kissen mit ihm flüsterte. Er
vergaß fast die Rücksicht auf den Kranken, stand auf, ging hinter der
Pflegerin hin und her, und K. hätte es nicht gewundert, wenn er sie
hinten an den Röcken erfaßt und vom Bett fortgezogen hätte. K. selbst
sah allem ruhig zu, die Krankheit des Advokaten war ihm sogar nicht ganz
unwillkommen, dem Eifer, den der Onkel für seine Sache entwickelt
hatte, hatte er sich nicht entgegenstellen können, die Ablenkung, die
dieser Eifer jetzt ohne sein Zutun erfuhr, nahm er gerne hin. Da sagte
der Onkel, vielleicht nur in der Absicht, die Pflegerin zu beleidigen:
»Fräulein, bitte, lassen Sie uns ein Weilchen allein, ich habe mit
meinem Freund eine persönliche Angelegenheit zu besprechen.« Die
Pflegerin, die noch weit über den Kranken hingebeugt war und gerade das
Leintuch an der Wand glättete, wendete nur den Kopf und sagte sehr
ruhig, was einen auffallenden Unterschied zu den vor Wut stockenden und
dann wieder überfließenden Reden des Onkels bildete: »Sie sehen, der
Herr ist so krank, er kann keine Angelegenheiten besprechen.« Sie hatte
die Worte des Onkels wahrscheinlich nur aus Bequemlichkeit wiederholt,
immerhin konnte es selbst von einem Unbeteiligten als spöttisch
aufgefaßt werden, der Onkel aber fuhr natürlich wie ein Gestochener auf.
»Du Verdammte«, sagte er im ersten Gurgeln der Aufregung noch ziemlich
unverständlich, K. erschrak, obwohl er etwas Ähnliches erwartet hatte,
und lief auf den Onkel zu, mit der bestimmten Absicht, ihm mit beiden
Händen den Mund zu schließen. Glücklicherweise erhob sich aber hinter
dem Mädchen der Kranke, der Onkel machte ein finsteres Gesicht, als
schlucke er etwas Abscheuliches hinunter, und sagte dann ruhiger: »Wir
haben natürlich auch noch den Verstand nicht verloren; wäre das, was ich
verlange, nicht möglich, würde ich es nicht verlangen. Bitte, gehen Sie
jetzt!« Die Pflegerin stand aufgerichtet am Bett, dem Onkel voll
zugewendet, mit der einen Hand streichelte sie, wie K. zu bemerken
glaubte, die Hand des Advokaten. »Du kannst vor Leni alles sagen«, sagte
der Kranke, zweifellos im Ton einer dringenden Bitte. »Es betrifft mich
nicht«, sagte der Onkel, »es ist nicht mein Geheimnis.« Und er drehte
sich um, als gedenke er in keine Verhandlungen mehr einzugehen, gebe
aber noch eine kleine Bedenkzeit. »Wen betrifft es denn?« fragte der
Advokat mit erlöschender Stimme und legte sich wieder zurück. »Meinen
Neffen«, sagte der Onkel, »ich habe ihn auch mitgebracht.« Und er
stellte vor: »Prokurist Josef K.« »Oh«, sagte der Kranke viel lebhafter
und streckte K. die Hand entgegen, »verzeihen Sie, ich habe Sie gar
nicht bemerkt. Geh, Leni«, sagte er dann zu der Pflegerin, die sich auch
gar nicht mehr wehrte, und reichte ihr die Hand, als gelte es einen
Abschied für lange Zeit. »Du bist also«, sagte er endlich zum Onkel,
der, auch versöhnt, nähergetreten war, »nicht gekommen, mir einen
Krankenbesuch zu machen, sondern du kommst in Geschäften.« Es war, als
hätte die Vorstellung eines Krankenbesuches den Advokaten bisher
gelähmt, so gekräftigt sah er jetzt aus, blieb ständig auf einem
Ellbogen aufgestützt, was ziemlich anstrengend sein mußte, und zog immer
wieder an einem Bartstrahn in der Mitte seines Bartes. »Du siehst schon
viel gesünder aus«, sagte der Onkel, »seit diese Hexe draußen ist.« Er
unterbrach sich, flüsterte: »Ich wette, daß sie horcht!« und er sprang
zur Tür. Aber hinter der Tür war niemand, der Onkel kam zurück, nicht
enttäuscht, denn ihr Nichthorchen erschien ihm als eine noch größere
Bosheit, wohl aber verbittert: »Du verkennst sie«, sagte der Advokat,
ohne die Pflegerin weiter in Schutz zu nehmen; vielleicht wollte er
damit ausdrücken, daß sie nicht schutzbedürftig sei. Aber in viel
teilnehmenderem Tone fuhr er fort: »Was die Angelegenheit deines Herrn
Neffen betrifft, so würde ich mich allerdings glücklich schätzen, wenn
meine Kraft für diese äußerst schwierige Aufgabe ausreichen könnte; ich
fürchte sehr, daß sie nicht ausreichen wird, jedenfalls will ich nichts
unversucht lassen; wenn ich nicht ausreiche, könnte man ja noch jemanden
anderen beiziehen. Um aufrichtig zu sein, interessiert mich die Sache
zu sehr, als daß ich es über mich bringen könnte, auf jede Beteiligung
zu verzichten. Hält es mein Herz nicht aus, so wird es doch wenigstens
hier eine würdige Gelegenheit finden, gänzlich zu versagen.« K. glaubte,
kein Wort dieser ganzen Rede zu verstehen, er sah den Onkel an, um dort
eine Erklärung zu finden, aber dieser saß, mit der Kerze in der Hand,
auf dem Nachttischchen, von dem bereits eine Arzneiflasche auf den
Teppich gerollt war, nickte zu allem, was der Advokat sagte, war mit
allem einverstanden und sah hie und da auf K. mit der Aufforderung zu
gleichem Einverständnis hin. Hatte vielleicht der Onkel schon früher dem
Advokaten von dem Prozeß erzählt? Aber das war unmöglich, alles, was
vorhergegangen war, sprach dagegen. »Ich verstehe nicht –«, sagte er
deshalb. »Ja, habe vielleicht ich Sie mißverstanden?« fragte der Advokat
ebenso erstaunt und verlegen wie K. »Ich war vielleicht voreilig.
Worüber wollten Sie denn mit mir sprechen? Ich dachte, es handle sich um
Ihren Prozeß?« »Natürlich«, sagte der Onkel und fragte dann K.: »Was
willst du denn?« »Ja, aber woher wissen Sie denn etwas über mich und
meinen Prozeß?« fragte K. »Ach so«, sagte der Advokat lächelnd, »ich bin
doch Advokat, ich verkehre in Gerichtskreisen, man spricht über
verschiedene Prozesse, und auffallendere, besonders wenn es den Neffen
eines Freundes betrifft, behält man im Gedächtnis. Das ist doch nichts
Merkwürdiges.« »Was willst du denn?« fragte der Onkel K. nochmals. »Du
bist so unruhig.« »Sie verkehren in diesen Gerichtskreisen?« fragte K.
»Ja«, sagte der Advokat. »Du fragst wie ein Kind«, sagte der Onkel. »Mit
wem sollte ich denn verkehren, wenn nicht mit Leuten meines Faches?«
fügte der Advokat hinzu. Es klang so unwiderleglich, daß K. gar nicht
antwortete. »Sie arbeiten doch bei dem Gericht im Justizpalast, und
nicht bei dem auf dem Dachboden«, hatte er sagen wollen, konnte sich
aber nicht überwinden, es wirklich zu sagen. »Sie müssen doch bedenken«,
fuhr der Advokat fort, in einem Tone, als erkläre er etwas
Selbstverständliches überflüssigerweise und nebenbei, »Sie müssen doch
bedenken, daß ich aus einem solchen Verkehr auch große Vorteile für
meine Klientel ziehe, und zwar in vielfacher Hinsicht, man darf nicht
einmal immer davon reden. Natürlich bin ich jetzt infolge meiner
Krankheit ein wenig behindert, aber ich bekomme trotzdem Besuch von
guten Freunden vom Gericht und erfahre doch einiges. Erfahre vielleicht
mehr als manche, die in bester Gesundheit den ganzen Tag bei Gericht
verbringen. So habe ich zum Beispiel gerade jetzt einen lieben Besuch.«
Und er zeigte in eine dunkle Zimmerecke. »Wo denn?« fragte K. in der
ersten Überraschung fast grob. Er sah unsicher herum; das Licht der
kleinen Kerze drang bis zur gegenüberliegenden Wand bei weitem nicht.
Und wirklich begann sich dort in der Ecke etwas zu rühren. Im Licht der
Kerze, die der Onkel jetzt hochhielt, sah man dort, bei einem kleinen
Tischchen, einen älteren Herrn sitzen. Er hatte wohl gar nicht geatmet,
das er so lange unbemerkt geblieben war. Jetzt stand er umständlich auf,
offenbar unzufrieden damit, daß man auf ihn aufmerksam gemacht hatte.
Es war, als wolle er mit den Händen, die er wie kurze Flügel bewegte,
alle Vorstellungen und Begrüßungen abwehren, als wolle er auf keinen
Fall die anderen durch seine Anwesenheit stören und als bitte er
dringend wieder um die Versetzung ins Dunkel und um das Vergessen seiner
Anwesenheit. Das konnte man ihm nun aber nicht mehr zugestehen. »Ihr
habt uns nämlich überrascht«, sagte der Advokat zur Erklärung und winkte
dabei dem Herrn aufmunternd zu, näherzukommen, was dieser langsam,
zögernd herumblickend und doch mit einer gewissen Würde tat, »der Herr
Kanzleidirektor – ach so, Verzeihung, ich habe nicht vorgestellt – hier
mein Freund Albert K., hier sein Neffe, Prokurist Josef K., und hier der
Herr Kanzleidirektor – der Herr Kanzleidirektor also war so freundlich,
mich zu besuchen. Den Wert eines solchen Besuches kann eigentlich nur
der Eingeweihte würdigen, welcher weiß, wie der Herr Kanzleidirektor mit
Arbeit überhäuft ist. Nun, er kam aber trotzdem, wir unterhielten uns
friedlich, soweit meine Schwäche es erlaubte, wir hatten zwar Leni nicht
verboten, Besuche einzulassen, denn es waren keine zu erwarten, aber
unsere Meinung war doch, daß wir allein bleiben sollten, dann aber kamen
deine Fausthiebe, Albert, der Herr Kanzleidirektor rückte mit Sessel
und Tisch in den Winkel, nun aber zeigt sich, daß wir möglicherweise,
das heißt, wenn der Wunsch danach besteht, eine gemeinsame Angelegenheit
zu besprechen haben und sehr gut wieder zusammenrücken können. – Herr
Kanzleidirektor«, sagte er mit Kopfneigen und unterwürfigem Lächeln und
zeigte auf einen Lehnstuhl in der Nähe des Bettes. »Ich kann leider nur
noch ein paar Minuten bleiben«, sagte der Kanzleidirektor freundlich,
setzte sich breit in den Lehnstuhl und sah auf die Uhr, »die Geschäfte
rufen mich. Jedenfalls will ich nicht die Gelegenheit vorübergehen
lassen, einen Freund meines Freundes kennenzulernen.« Er neigte den Kopf
leicht gegen den Onkel, der von der neuen Bekanntschaft sehr befriedigt
schien, aber infolge seiner Natur Gefühle der Ergebenheit nicht
ausdrücken konnte und die Worte des Kanzleidirektors mit verlegenem,
aber lautem Lachen begleitete. Ein häßlicher Anblick! K. konnte ruhig
alles beobachten, denn um ihn kümmerte sich niemand, der Kanzleidirektor
nahm, wie es seine Gewohnheit schien, da er nun schon einmal
hervorgezogen war, die Herrschaft über das Gespräch an sich, der
Advokat, dessen erste Schwäche vielleicht nur dazu hatte dienen sollen,
den neuen Besuch zu vertreiben, hörte aufmerksam, die Hand am Ohre zu,
der Onkel als Kerzenträger – er balancierte die Kerze auf seinem
Schenkel, der Advokat sah öfter besorgt hin – war bald frei von
Verlegenheit und nur noch entzückt, sowohl von der Art der Rede des
Kanzleidirektors als auch von den sanften, wellenförmigen
Handbewegungen, mit denen er sie begleitete. K., der am Bettpfosten
lehnte, wurde vom Kanzleidirektor vielleicht sogar mit Absicht
vollständig vernachlässigt und diente den alten Herren nur als Zuhörer.
Übrigens wußte er kaum, wovon die Rede war und dachte bald an die
Pflegerin und an die schlechte Behandlung, die sie vom Onkel erfahren
hatte, bald daran, ob er den Kanzleidirektor nicht schon einmal gesehen
hatte, vielleicht sogar in der Versammlung bei seiner ersten
Untersuchung. Wenn er sich auch vielleicht täuschte, so hätte sich doch
der Kanzleidirektor den Versammlungsteilnehmern in der ersten Reihe, den
alten Herren mit den schütteren Bärten, vorzüglich eingefügt.Da ließ ein Lärm aus dem Vorzimmer, wie von zerbrechendem Porzellan,
alle aufhorchen. »Ich will nachsehen, was geschehen ist«, sagte K. und
ging langsam hinaus, als gebe er den anderen noch Gelegenheit, ihn
zurückzuhalten. Kaum war er ins Vorzimmer getreten und wollte sich im
Dunkel zurechtfinden, als sich auf die Hand, mit der er die Tür noch
festhielt, eine kleine Hand legte, viel kleiner als K.s Hand, und die
Tür leise schloß. Es war die Pflegerin, die hier gewartet hatte. »Es ist
nichts geschehen«, flüsterte sie, »ich habe nur einen Teller gegen die
Mauer geworfen, um Sie herauszuholen.« In seiner Befangenheit sagte K:
»Ich habe auch an Sie gedacht.« »Desto besser«, sagte die Pflegerin,
»kommen Sie.« Nach ein paar Schritten kamen sie zu einer Tür aus mattem
Glas, welche die Pflegerin vor K. öffnete. »Treten Sie doch ein«, sagte
sie. Es war jedenfalls das Arbeitszimmer des Advokaten; soweit man im
Mondlicht sehen konnte, das jetzt nur einen kleinen, viereckigen Teil
des Fußbodens an jedem der drei großen Fenster erhellte, war es mit
schweren, alten Möbelstücken ausgestattet. »Hierher«, sagte die
Pflegerin und zeigte auf eine dunkle Truhe mit holzgeschnitzter Lehne.
Noch als er sich gesetzt hatte, sah sich K. im Zimmer um, es war ein
hohes, großes Zimmer, die Kundschaft des Armenadvokaten mußte sich hier
verloren vorkommen. K. glaubte, die kleinen Schritte zu sehen, mit denen
die Besucher zu dem gewaltigen Schreibtisch vorrückten. Dann aber
vergaß er dies und hatte nur noch Augen für die Pflegerin, die ganz nahe
neben ihm saß und ihn fast an die Seitenlehne drückte. »Ich dachte«,
sagte sie, »Sie würden von selbst zu mir herauskommen, ohne daß ich Sie
erst rufen müßte. Es war doch merkwürdig. Zuerst sahen Sie mich gleich
beim Eintritt ununterbrochen an und dann ließen Sie mich warten. Nennen
Sie mich übrigens Leni«, fügte sie noch rasch und unvermittelt zu, als
solle kein Augenblick dieser Aussprache versäumt werden. »Gern«, sagte
K. »Was aber die Merkwürdigkeit betrifft, Leni, so ist sie leicht zu
erklären. Erstens mußte ich doch das Geschwätz der alten Herren anhören
und konnte nicht grundlos weglaufen, zweitens aber bin ich nicht frech,
sondern eher schüchtern, und auch Sie, Leni, sahen wahrhaftig nicht so
aus, als ob Sie in einem Sprung zu gewinnen wären.« »Das ist es nicht«,
sagte Leni, legte den Arm über die Lehne und sah K. an, »aber ich gefiel
Ihnen nicht und gefalle Ihnen auch wahrscheinlich jetzt nicht.«
»Gefallen wäre ja nicht viel«, sagte K. ausweichend. »Oh!« sagte sie
lächelnd und gewann durch K.s Bemerkung und diesen kleinen Ausruf eine
gewisse Überlegenheit. Deshalb schwieg K. ein Weilchen. Da er sich an
das Dunkel im Zimmer schon gewöhnt hatte, konnte er verschiedene
Einzelheiten der Einrichtung unterscheiden. Besonders fiel ihm ein
großes Bild auf, das rechts von der Tür hing, er beugte sich vor, um es
besser zu sehen. Es stellte einen Mann im Richtertalar dar; er saß auf
einem hohen Thronsessel, dessen Vergoldung vielfach aus dem Bilde
hervorstach. Das Ungewöhnliche war, daß dieser Richter nicht in Ruhe und
Würde dort saß, sondern den linken Arm fest an Rücken- und Seitenlehne
drückte, den rechten Arm aber völlig frei hatte und nur mit der Hand die
Seitenlehne umfaßte, als wolle er im nächsten Augenblick mit einer
heftigen und vielleicht empörten Wendung aufspringen, um etwas
Entscheidendes zu sagen oder gar das Urteil zu verkünden. Der Angeklagte
war wohl zu Füßen der Treppe zu denken, deren oberste, mit einem gelben
Teppich bedeckte Stufen noch auf dem Bilde zu sehen waren. »Vielleicht
ist das mein Richter«, sagte K. und zeigte mit einem Finger auf das
Bild. »Ich kenne ihn«, sagte Leni und sah auch zum Bilde auf, »er kommt
öfters hierher. Das Bild stammt aus seiner Jugend, er kann aber niemals
dem Bilde auch nur ähnlich gewesen sein, denn er ist fast winzig klein.
Trotzdem hat er sich auf dem Bild so in die Länge ziehen lassen, denn er
ist unsinnig eitel, wie alle hier. Aber auch ich bin eitel und sehr
unzufrieden damit, daß ich Ihnen gar nicht gefalle.« Auf die letzte
Bemerkung antwortete K. nur damit, daß er Leni umfaßte und an sich zog,
sie lehnte still den Kopf an seine Schulter. Zu dem Übrigen aber sagte
er: »Was für einen Rang hat er?« »Er ist Untersuchungsrichter«, sagte
sie, ergriff K.s Hand, mit der er sie umfaßt hielt, und spielte mit
seinen Fingern. »Wieder nur Untersuchungsrichter«, sagte K. enttäuscht,
»die hohen Beamten verstecken sich. Aber er sitzt doch auf einem
Thronsessel.« »Das ist alles Erfindung«, sagte Leni, das Gesicht über
K.s Hand gebeugt, »in Wirklichkeit sitzt er auf einem Küchensessel, auf
dem eine alte Pferdedecke zusammengelegt ist. Aber müssen Sie denn
immerfort an Ihren Prozeß denken?« fügte sie langsam hinzu. »Nein,
durchaus nicht«, sagte K., »ich denke wahrscheinlich sogar zu wenig an
ihn.« »Das ist nicht der Fehler, den Sie machen«, sagte Leni, »Sie sind
zu unnachgiebig, so habe ich es gehört.« »Wer hat das gesagt?« fragte
K., er fühlte ihren Körper an seiner Brust und sah auf ihr reiches,
dunkles, fest gedrehtes Haar hinab. »Ich würde zuviel verraten, wenn ich
das sagte«, antwortete Leni. »Fragen Sie, bitte, nicht nach Namen,
stellen Sie aber Ihren Fehler ab, seien Sie nicht mehr so unnachgiebig,
gegen dieses Gericht kann man sich ja nicht wehren, man muß das
Geständnis machen. Machen Sie doch bei nächster Gelegenheit das
Geständnis. Erst dann ist die Möglichkeit zu entschlüpfen gegeben, erst
dann. Jedoch selbst das ist ohne fremde Hilfe nicht möglich, wegen
dieser Hilfe aber müssen Sie sich nicht ängstigen, die will ich Ihnen
selbst leisten.« »Sie verstehen viel von diesem Gericht und von den
Betrügereien, die hier nötig sind«, sagte K. und hob sie, da sie sich
allzu stark an ihn drängte, auf seinen Schoß. »So ist es gut«, sagte sie
und richtete sich auf seinem Schoß ein, indem sie den Rock glättete und
die Bluse zurechtzog. Dann hing sie sich mit beiden Händen an seinen
Hals, lehnte sich zurück und sah ihn lange an. »Und wenn ich das
Geständnis nicht mache, dann können Sie mir nicht helfen?« fragte K.
versuchsweise. Ich werbe Helferinnen, dachte er fast verwundert, zuerst
Fräulein Bürstner, dann die Frau des Gerichtsdieners und endlich diese
kleine Pflegerin, die ein unbegreifliches Bedürfnis nach mir zu haben
scheint. Wie sie auf meinem Schoß sitzt, als sei es ihr einzig richtiger
Platz! »Nein«, antwortete Leni und schüttelte langsam den Kopf, »dann
kann ich Ihnen nicht helfen. Aber Sie wollen ja meine Hilfe gar nicht,
es liegt Ihnen nichts daran, Sie sind eigensinnig und lassen sich nicht
überzeugen.« »Haben Sie eine Geliebte?« fragte sie nach einem Weilchen.
»Nein«, sagte K. »O doch«, sagte sie. »Ja, wirklich«, sagte K., »denken
Sie nur, ich habe sie verleugnet und trage doch sogar ihre Photographie
bei mir.« Auf ihre Bitten zeigte er ihr eine Photographie Elsas,
zusammengekrümmt auf seinem Schoß, studierte sie das Bild. Es war eine
Momentphotographie, Elsa war nach einem Wirbeltanz aufgenommen, wie sie
ihn in dem Weinlokal gern tanzte, ihr Rock flog noch im Faltenwurf der
Drehung um sie her, die Hände hatte sie auf die festen Hüften gelegt und
sah mit straffem Hals lachend zur Seite; wem ihr Lachen galt, konnte
man aus dem Bild nicht erkennen. »Sie ist stark geschnürt«, sagte Leni
und zeigte auf die Stelle, wo dies ihrer Meinung nach zu sehen war. »Sie
gefällt mir nicht, sie ist unbeholfen und roh. Vielleicht ist sie aber
-->
Ihnen gegenüber sanft und freundlich, darauf könnte man nach dem Bilde
schließen. So große, starke Mädchen wissen oft nichts anderes, als sanft
und freundlich zu sein. Würde sie sich aber für Sie opfern können?«
»Nein«, sagte K., »sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie
sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch
das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so
genau angesehen wie Sie.« »Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr«,
sagte Leni, »sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.« »Doch«, sagte K.
»Ich nehme mein Wort nicht zurück.« »Mag sie also jetzt Ihre Geliebte
sein«, sagte Leni, »Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie
sie verlören oder für jemand anderen, zum Beispiel für mich,
eintauschten.« »Gewiß«, sagte K. lächelnd, »das wäre denkbar, aber sie
hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem
Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran
denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen.«
»Das ist kein Vorteil«, sagte Leni. »Wenn sie keine sonstigen Vorteile
hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen
Fehler?« »Einen körperlichen Fehler?« fragte K. »Ja«, sagte Leni, »ich
habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.« Sie spannte den
Mittel- und Ringfinger ihrer rechten Hand auseinander, zwischen denen
das Verbindungshäutchen fast bis zum obersten Gelenk der kurzen Finger
reichte. K. merkte im Dunkel nicht gleich, was sie ihm zeigen wollte,
sie führte deshalb seine Hand hin, damit er es abtaste. »Was für ein
Naturspiel«, sagte K. und fügte, als er die ganze Hand überblickt hatte,
hinzu: »Was für eine hübsche Kralle!« Mit einer Art Stolz sah Leni zu,
wie K. staunend immer wieder ihre zwei Finger auseinanderzog und
zusammenlegte, bis er sie schließlich flüchtig küßte und losließ. »Oh!«
rief sie aber sofort, »Sie haben mich geküßt!« Eilig, mit offenem Mund
erkletterte sie mit den Knien seinen Schoß. K. sah fast bestürzt zu ihr
auf, jetzt, da sie ihm so nahe war, ging ein bitterer, aufreizender
Geruch wie von Pfeffer von ihr aus, sie nahm seinen Kopf an sich, beugte
sich über ihn hinweg und biß und küßte seinen Hals, biß selbst in seine
Haare. »Sie haben mich eingetauscht!« rief sie von Zeit zu Zeit, »sehen
Sie, nun haben Sie mich eingetauscht!« Da glitt ihr Knie aus, mit einem
kleinen Schrei fiel sie fast auf den Teppich, K. umfaßte sie, um sie
noch zu halten, und wurde zu ihr hinabgezogen. »Jetzt gehörst du mir«,
sagte sie. »Hier hast du den Hausschlüssel, komm, wann du willst«, waren
ihre letzten Worte, und ein zielloser Kuß traf ihn noch im Weggehen auf
den Rücken. Als er aus dem Haustor trat, fiel ein leichter Regen, er
wollte in die Mitte der Straße gehen, um vielleicht Leni noch beim
Fenster erblicken zu können, da stürzte aus einem Automobil, das vor dem
Hause wartete und das K. in seiner Zerstreutheit gar nicht bemerkt
hatte, der Onkel, faßte ihn bei den Armen und stieß ihn gegen das
Haustor, als wolle er ihn dort festnageln. »Junge«, rief er, »wie
konntest du nur das tun! Du hast deiner Sache, die auf gutem Wege war,
schrecklich geschadet. Verkriechst dich mit einem kleinen, schmutzigen
Ding, das überdies offensichtlich die Geliebte des Advokaten ist, und
bleibst stundenlang weg. Suchst nicht einmal einen Vorwand,
verheimlichst nichts, nein, bist ganz offen, läufst zu ihr und bleibst
bei ihr. Und unterdessen sitzen wir beisammen, der Onkel, der sich für
dich abmüht, der Advokat, der für dich gewonnen werden soll, der
Kanzleidirektor vor allem, dieser große Herr, der deine Sache in ihrem
jetzigen Stadium geradezu beherrscht. Wir wollen beraten, wie dir zu
helfen wäre, ich muß den Advokaten vorsichtig behandeln, dieser wieder
den Kanzleidirektor, und du hättest doch allen Grund, mich wenigstens zu
unterstützen. Statt dessen bleibst du fort. Schließlich läßt es sich
nicht verheimlichen, nun, es sind höfliche, gewandte Männer, sie
sprechen nicht davon, sie schonen mich, schließlich können aber auch sie
sich nicht mehr überwinden, und da sie von der Sache nicht reden
können, verstummen sie. Wir sind minutenlang schweigend dagesessen und
haben gehorcht, ob du nicht doch endlich kämest. Alles vergebens.
Endlich steht der Kanzleidirektor, der viel länger geblieben ist, als er
ursprünglich wollte, auf, verabschiedet sich, bedauert mich sichtlich,
ohne mir helfen zu können, wartet in unbegreiflicher Liebenswürdigkeit
noch eine Zeitlang in der Tür, dann geht er. Ich war natürlich
glücklich, daß er weg war, mir war schon die Luft zum Atmen ausgegangen.
Auf den kranken Advokaten hat alles noch stärker eingewirkt, er konnte,
der gute Mann, gar nicht sprechen, als ich mich von ihm verabschiedete.
Du hast wahrscheinlich zu seinem vollständigen Zusammenbrechen
beigetragen und beschleunigst so den Tod eines Mannes, auf den du
angewiesen bist. Und mich, deinen Onkel, läßt du hier im Regen – fühle
nur, ich bin ganz durchnäßt – stundenlang warten und mich in Sorgen
abquälen.«
Links
http://feakadella.blog.de/
http://www.kafka.org/index.php?onkelleni
http://www.klausschenck.de/ks/downloads/h28kafkaueprotokoll1katha.pdf
http://www.lernsoftwareundmehr.de/fileadmin/Daten/material/oberstufe/deutsch/6Kafka_Prozess_Onkel_Leni.pdf
http://www.teachsam.de/deutsch/d_ubausteine/aut_ub/kaf_ub/kaf_prozess_ub/kaf-prozess_3.7_ub_5.htm
http://www.deutsch-online.net/der-onkel-leni-zusammenfassung-der-process/
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